Mit Medikamenten der Pharmafirma Merck sind in einem westdeutschen Heim Ende der 1950er Jahre Medikamentenversuche an Kindern durchgeführt worden. Das ergaben Recherchen des ARD-Magazins "FAKT" (heute 21.45 Uhr, im Ersten), die auf den Einschätzungen des Medikamentenexperten Gerd Glaeske und dem Historiker Uwe Kaminsky fußen. Vor allem die überproportional hohen Dosierungen sprechen gegen eine therapeutische Anwendung und für Versuche an Kindern.

 

Demnach erhielten 28 Kinder im Franz Sales Haus in Essen das sogenannte Medikament T-57. Die Abkürzung steht für das hochwirksame Neuroleptikum Decentan aus einer klinischen Erprobungsphase. Das Medikament war seit Ende 1957 auf dem deutschen Markt. Die betroffenen Kinder waren laut einer im Archiv des Heims aufgefundenen Liste aus dem Jahr 1958 zwischen 5 und 13 Jahre alt.

Die Firma Merck wollte sich zu den Recherche-Ergebnissen nicht vor der Kamera äußern, stehe jedoch einer Aufarbeitung nicht im Wege. Die Heimleitung reagierte geschockt auf die Archiv-Funde, aus denen auch hervorgeht, wie die Probanden auf die Medikamentenversuche reagierten. "Es ist total erschreckend. Da muss ich ihnen also zweifelsohne Recht geben. Und das ist ungeheuerlich", sagte Direktor Günter Oelscher dem Magazin "FAKT" im Interview. Wenn man das so lese, sei es so, dass man das nicht glauben mag. Oelscher will den Fällen nachgehen und bietet den Geschädigten Gespräche an. Im Franz Sales Haus führte ein angestellter Arzt die Versuche durch. Nach der heutigen Gesetzeslage wären sie strengstens verboten, so Arzneimittelexperte Glaeske.

Das Medikament Decentan ist laut Arzneimittel-Experten typischerweise bei Psychosen oder Schizophrenien eingesetzt worden. Missbräuchlich wurde es auch in der Psychiatrie zur Ruhigstellung von schwierigen Patienten genutzt. Die Dokumente zu den Medikamentenstudien im Franz Sales Haus hat die Doktorandin Silvia Wagner entdeckt, die zu diesem Thema forscht.