Cannabinoide in der Schmerztherapie - Klinische Erfahrungen und Perspektiven aus Kanada

Seit März 2017 ist auch in Deutschland die medizinische Anwendung von Cannabis in begründeten Ausnahmefällen möglich. Allerdings ist der Informationsstand zum medizinischen Einsatz und therapeutischen Nutzen von Cannabis bei Ärzten und Apothekern in Deutschland im internationalen Vergleich bisher gering. Nicht so in anderen Ländern wie Kanada, wo Cannabis seit vielen Jahren in der medizinischen Therapie eingesetzt wird. So wurden an der kanadischen Cannabinoid Medical Clinic (CMC) seit dem Jahr 2014 rund 25.000 Patienten in einer Altersspanne von zwei bis 92 Jahren bei verschiedenen Indikationen mit Cannabis behandelt.

Um auch deutsche Ärzte von diesen umfangreichen Erfahrungen profitieren zu lassen, hat das deutsche Cannabis-Unternehmen Spektrum Cannabis GmbH anlässlich des Deutschen Schmerzkongress in Mannheim ein Symposium zu den klinischen Erfahrungen mit Cannabis in Kanada veranstaltet. Gastredner war Dr. Danial Schecter, der als Mitbegründer der CMC alleine rund 3.500 Patienten mit Cannabis behandelt hat.

Anders als in Deutschland, wo bisher nur wenige klinische Erfahrungen mit Cannabis-Therapien bestehen, kommt Cannabis in Form von Blüten oder Extrakten in Kanada bereits seit 2001 zum Einsatz. Im Jahr 2014 hat Dr. Danial Schecter als Mitbegründer die Cannabinoid Medical Clinic ins Leben gerufen, die inzwischen mit 22 Standorten in ganz Kanada zu den größten medizinischen Einrichtungen für Cannabis-Medizin gilt. Seit Gründung der CMC sind rund 25.000 Patienten zur Therapie mit Cannabis bei vielfältigen Indikationen von Allgemeinmedizinern und Fachärzten aus ganz Kanada in die Standorte unserer Klinik überwiesen worden", erläutert Dr. Danial Schecter. "Bei der überwiegenden Zahl dieser Patienten hat die Cannabis-Therapie zu nachhaltigen Verbesserungen der Beschwerden geführt", führt der Experte weiter aus. Die Mehrzahl der Patienten, die in der CMC behandelt werden, leiden unter chronischen Schmerzen, darunter neuropathische Schmerzen bei Erkrankungen wie Diabetes oder HIV-Infektionen, aber auch schmerzhafte Spastiken bei Multipler Sklerose oder chronische Rückenschmerzen. "Viele der Patienten haben bereits zahlreiche Therapien versucht, die jedoch nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Schmerzen und der Lebensqualität geführt haben", so Dr. Schecter.

Verringerung der Schmerzmedikationen von bis zu 50 Prozent beobachtet

Im Zentrum seines Vortrags stand der Einsatz von Cannabis in der Therapie des chronischen und neuropathischen Schmerzes, in der Palliativmedizin sowie in der Kombinationstherapie mit Opioiden. "Gerade dieser Aspekt wird für Ärzte und Schmerztherapeuten in Deutschland von Interesse sein, denn die Datenlage zeigt, dass sich der Opioidverbrauch durch Cannabis in vielen Fällen signifikant senken lässt", so Dr. Schecter. Vor allem Patienten unter einer Opioid-Therapie klagen häufig über die umfangreichen Nebenwirkungen dieser Therapie, die einer Verbesserung der Lebensqualität entgegenstehen. "Viele unserer Patienten wollen wieder von einer Therapie mit Opioiden weg, da sie häufig im Verhältnis zu den Nebenwirkungen nur eine unzureichende Schmerzreduktion und Verbesserung ihrer Lebensqualität empfinden", macht Cannabis-Experte Dr. Schecter deutlich und ergänzt: "Durch die Therapie mit Cannabis lässt sich in der Mehrzahl der Patienten eine signifikante Verbesserung der Symptomatik und oft eine Schmerzreduktion von bis zu 30 Prozent erreichen." Gleichzeit lässt sich die tägliche Opioid-Dosis bei der Mehrzahl der Patienten um durchschnittlich 30 Prozent, teilweise sogar um bis zu 50 Prozent reduzieren. "In manchen Fällen können wir die Opioide sogar komplett absetzten, ohne dass dies einen negativen Effekt auf die Schmerzsymptomatik hat", so Dr. Schecter, dessen Patienten sich in einer Altersspanne von zwei bis 92 Jahren bewegen. Aber nicht nur die Opioid-Dosis, sondern auch weitere Begleitmedikationen lassen sich nach Dr. Schecter unter einer Cannabis-Therapie signifikant reduzieren: "In der Regel zeigt sich bereits nach sechs Monaten, dass die Dosis an Benzodiazepinen und Antidepressiva um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden kann."

Positive Erfahrungen auch bei anderen Indikationen

Neben der Anwendung bei chronischen Schmerzen bestehen weltweit auch positive Erfahrungen mit dem Einsatz der Cannabis-Therapie bei anderen Indikationen wie Epilepsie, bei Multipler Sklerose, der Kachexie bei onkologischen Patienten oder auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, wie der kanadische Experte aufzeigt: "Ich habe bei einigen meiner Patienten (Kinder), die täglich unter mehrfachen epileptischen Anfällen litten, nicht in der Lage waren, zu laufen, zu sprechen oder selbständig zu essen, gesehen, dass die Cannabis-Therapie Häufigkeit und Stärke der Krampfanfälle signifikant vermindert und den Kindern zu einem hohen Maß an Selbständigkeit und damit auch mentalen Entwicklungschancen verholfen hat." Auch über den Einsatz von Cannabis bei Multipler Sklerose, bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und vor allem bei onkologischen Patienten, die z.B. während einer Chemotherapie unter einer Kachexie leiden, bestehen mittlerweile fundierte klinische Erfahrungen aus Kanada, den USA und Israel. "Hier müssen weltweit die Forschungsanstrengungen noch verstärkt werden, um alle Potenziale einer Cannabis-Therapie ausreichend zu verstehen und für Patienten nutzbar zu machen", so Dr. Schecter.

Das Endocannabinoid-System als Grundlage der klinischen Wirkungen von Cannabis

Zu Beginn des Symposiums gab Dr. Pierre Debs, der als promovierter Biologe über viele Jahre zum Endocannabinoid-System des Menschen geforscht hat und heute Geschäftsführer der Spektrum Cannabis GmbH (hundertprozentige Tochter der kanadischen Canopy Growth Corporation) ist, einen Überblick über das menschliche Endocannabinoid-System (ECS) als einem der zentralen homöostatischen Regulationssysteme zellulärer Aktivität. "Die Verteilung der bisher identifizierten Cannabinoid-Rezeptoren CB-1 und CB-2 bieten einen plausiblen Erklärungsansatz für die Wirkung von Cannabis bei einer Vielfalt von Indikationen", so Dr. Debs. Während CB-1 hauptsächlich im Zentralen-Nervensystem (ZNS) lokalisiert ist, kommt CB-2 hauptsächlich auf den Zellen des Immunsystems vor. Zwar sind CB-1 jeweils auch im Immunsystem und CB-2 auch im ZNS zu finden, jedoch in wesentlich geringerer Konzentration. Daneben finden sich beide Rezeptoren in weiteren Geweben wie etwa Fettzellen. Als natürliche Liganden konnten bisher mindestens sieben körpereigene so genannte Endocannabinoide identifiziert werden.

Im ZNS scheint CB-1 an Prozessen wie der zentralen Schmerzverarbeitung, der Modulation von Emotionen in der Amygdala, der motorischen Regulation in den Basalganglien sowie der Appetitregulation und an Lernprozessen beteiligt zu sein. Im Immunsystem scheinen Endocannabinoide die chemotaktische Attraktion von Immunzellen bei Gewebeschädigungen zu vermitteln und dabei gleichzeitig eine überschießende Immunreaktion zu verhindern. In Studien mit Zellkulturen von Mammakarzinom-Zellen konnten zudem eindeutig antiproliferative Effekte von Endocannabinoiden gezeigt werden. "Die Cannabinoide der Cannabis-Pflanze docken als volle oder partielle Agonisten an eben diese Rezeptoren an", so Dr. Debs. Mittlerweile ist bekannt, dass die Cannabispflanze über mehr als 100 Cannabinoide, eine Vielzahl so genannter Terpene sowie zahlreiche Flavonoide verfügt, die wahrscheinlich modulatorische Effekte an den Rezeptoren zeigen. "Dieser so genannte Entourageeffekt könnte eine Erklärung dafür bieten, dass eine Therapie mit vaporisierten Cannabis-Blüten oft bessere therapeutische Effekte zeigt als die Therapie mit THC oder CBD als synthetische Monosubstanzen", so Dr. Debs abschließend.