Haare archivieren den Mineralstoffhaushalt über längere Zeit. Wer rechnet schon mit einer nachwachsenden Datenbibliothek auf seinem Haupt?  - Da Kopfhaare monatlich etwa einen Zentimeter wachsen, kann ein zwölf Zentimeter langes Haar den Lebenswandel eines Jahres archivieren.


von Hans-Jörg Müllenmeister

Was sich aktuell im Stoffwechsel unserer Körpersäfte - im Blut oder Urin - abspielt, darüber geben Mineralstoff-Analysen Auskunft. Dass aber Hornfäden aus Keratin, also unsere Kopfhaare, den Mineralstoffhaushalt über längere Zeit „archivieren“, ist vielen von uns nicht bewusst. Wer rechnet schon mit einer nachwachsenden Datenbibliothek auf seinem Haupt. Gut, tiefer liegende, schamhaft bedeckte Pubes-Regionen kämen für eine Analyse auch in Betracht, aber diese Haarpracht wächst offensichtlich langsamer und zu unregelmäßig - angetrieben durch gelegentliche Gefühlswallungen. Noch niemand hat das bisher genau untersucht. Wäre vielleicht ein lohnendes plagiatresistentes Thema einer Nichtgutti-Doktorarbeit.


Haarige Sonden des Stoffwechsels
Zu Beginn nehmen die Haarzellen noch am Stoffwechselgeschehen rege teil: die Haarwurzeln sind im Blutkreislauf eingetaucht. Wie Sonden nehmen sie zirkulierende Mineralstoffe und Spurenelement auf, aber auch giftige Schwermetalle. Im Prozess des Verhornens sterben die Haarzellen ab. Nachwachsende, jüngere Haarzellen schieben sie aus der Kopfhaut ins Freie. Ab diesem Moment sind alle in die Haarzellen eingeschlossenen Stoffe konserviert wie in einer Ölsardinendose. Sie bilden ein „Gedächtnis“ des Stoffwechsels. Jetzt wirken äußere Parameter wie Umwelteinflüsse, Sonnenstrahlung und Pflegeprodukte. Da Kopfhaare monatlich etwa einen Zentimeter wachsen, kann ein zwölf Zentimeter langes Haar den Lebenswandel eines Jahres archivieren. Verständlich, dass zuerst die Gerichtsmedizin die Haaranalyse als Informationsquelle nutzte.


Haarsträubende Drogenkarriere
In der Rechtsmedizin geht es darum, Leichen „zum Sprechen“ zu bringen - über das Datenarchiv ihrer Haare. Bei einer segmentweisen Haaranalyse lässt sich z.B. Art und Häufigkeit des Drogenkonsums analysieren. Während viele Drogen, Arzneimittel und Dopingmittel in Blut und Urin oft schon nach wenigen Tagen „verrauscht“ sind, baut wachsendes Haar eine Vielzahl dieser Substanzen ein, und so sind sie noch nach Monaten nachweisbar. Mit normaler Haarwäsche gelingt es nicht, diese Stoffe zu entfernen. Selbst längerer Alkoholmissbrauch ist über ein bestimmtes Stoffwechselprodukt im „Haararchiv“ abgelegt. Neben Dopingmittel wie Anabolika und Nandrolon lassen sich Suchtmittel wie Cannabis, Kokain, Ecstasy und Heroin haargenau nachweisen. Erinnert sei an einen bekannten Fußballtrainer, dessen haarsträubende Drogenkarriere ihn bekannter machte als seine berufliche Laufbahn.

Glanzpunkt der Forensik ist die Isotopenanalyse. Mit ihr gelingt sogar der praktische Nachweis, wo sich ein Mensch in den letzten Wochen aufhielt - tot oder lebendig - und dort Wasser aufnahm. Es gibt dann signifikante Unterschiede der im Haar vorhandenen Wasserstoff- und Sauerstoffisotope. Diese sind übrigens Varianten desselben chemischen Elements mit identischen Eigenschaften, aber unterschiedlichem Atomgewicht. Der Clou: das Verhältnis der im Wasser vorhandenen Sauerstoff- und Wasserstoffisotope ist regional unterschiedlich.


Verschiedene Spektroskopieverfahren zur Haaranalyse
Da wir schon bei der Physik sind, sei ein kurzer Blick auf den aufwändigen Gerätepark gewagt. Bei all diesen Methoden misst man die Absorption der Röntgenstrahlung im Bereich einer sogenannten Absorptionskante.

Beim AAS-Verfahren wird die aufgeschlossene Probe in einem beheizten Graphitrohr atomisiert. Das Licht einer elementspezifischen Wellenlänge trifft auf die Haarprobe und wird von dieser absorbiert. Daraus lässt sich die Konzentration eines Elements bestimmen. Vorteil: geeignet für sehr niedrige Nachweisgrenzen.

Mit dem ICP-AES-Verfahren lassen sich Elemente im Spurenbereich quantitativ bestimmen. Man regt Atome und Ionen zur Emission von Licht einer elementspezifischen Wellenlänge an. Das erfordert eine höhere Energiezufuhr. Deswegen liegt die Temperatur der Anregungsquelle - ein induktiv gekoppeltes Plasma - zwischen 5.000°C bis über 9.000°C.

Das ICP-OES-Verfahren dient der Multielementbestimmung. Hier wird die aufbereitete Haarprobe in einem Plasma – einem etwa 7000°C heißen Ionengas - atomisiert und die Intensität des jeweiligen elementspezifischen Lichtes gemessen. Vorteil: Mehrere Elemente lassen sich gleichzeitig messen und quantitativ bestimmen. Dabei können die Gehalte der verschiedenen Elemente um mehrere Größenordnungen auseinander liegen. Nachteil: Verglichen mit der AAS-Methode liegen die Nachweisgrenzen ungünstiger.

Bei der ICP-MS- Methode wird die Probe in einem Argon-Plasma atomisiert und ionisiert. Ein elektrisches Feld trennt die entstandenen Ionen nach ihrer Masse. Vorteil: Die Methode ist extrem nachweisstark. Mit ihr sind auch Einzel-Isotope bestimmbar.


Mysteriöse historische Todesfälle - die Haaranalyse deckte sie auf
Zur Todesursache von Beethoven gibt es viele Mutmaßungen und Untersuchungen. Nein, es war nicht der bleigeschwängerte schwere Wein, den der Meister in vollen Zügen genoss. Forscher verdampften Beethovens Haare mit einem Laserstrahl und maßen tatsächlich eine Bleikonzentration in dem dabei entstehenden Rauch; die Bleikonzentration war nicht gleichmäßig im gesamten Haar verteilt, vielmehr gab es phasenweise extreme Anstiege. Aber Beethoven war kein Quartalssäufer. In der Tat war das Komponistengenie vor seinem Tod wiederholt extremen Bleibelastungen durch seinen Lebensverkürzer, seinem Arzt Wawruch ausgesetzt. Dieser punktierte mehrmals Beethovens Wasserbauch, um Flüssigkeit abzulassen. Zuvor war nämlich Beethoven an einer schweren Lungenentzündung erkrankt. Wawruch hatte ihn mit einem „entzündungsauflösenden bleihaltigen Mittel“ behandelt - die Ursache seines Schwellbauchs. Zur Desinfektion der Wunde bekam Beethoven abermals ein bleihaltiges Mittel.

Dagegen zeigte die Haaranalyse der 5000 Jahre alten Gletschermumie Ötzi eine sehr hohe Kupferkonzentration. Daher vermuten die Wissenschaftler, dass Ötzi mindestens zeitweilig mit Kupferverhüttung in Kontakt kam und er sich außerdem vorwiegend vegetarisch ernährte. Die gleiche Beobachtung machte man bei Mumien aus der Zeit von 550 bis 1450 n. Chr. aus dem Sudan. Die nubische Bevölkerung aus dieser Zeit ernährte sich hauptsächlich von Getreidekörnern, Datteln und Gemüse.


Napoleon starb nicht an Arsenvergiftung - er ließ zwangssterben
Wissenschaftler analysierten Haarsträhnen von Napoleon und auch die seiner Frau und seines Sohnes. Die faustdicke Überraschung: Das Gift fand sich bei allen drei in hoher Dosis. Offenbar hatte die Familie ihr Leben mit haarsträubend viel Gift verbracht. Die Mordlegende ist damit widerlegt. Arsen war nämlich zu Napoleons Zeiten nicht nur das Hausmittel von Giftmischern. Ach ja, in Wirklichkeit starb Napoleon an Magenkrebs.

Das Arsen-Bakterium GFAJ-1 im kalifornischen Mono Lake wartet mit einer mikrobiologischen Sensation auf, denn es verspeist sogar Arsen und baut es statt Phosphor in seine DNS ein.

Übrigens schon die Adelsfamilie der Borgia im 15. Jahrhundert schickte unliebsame Zeitgenossen mit Arsenantrieb himmelwärts. Zur Zeit von Napoleon war es medizinisch en vogue, Schwermetalle wie Blei, Quecksilber oder Arsen als Antibiotika einzusetzen. Hochgiftige Arsenverbindungen färbten obendrein Weinfässer, Keramikkrüge und Tapeten.

Apropos, die Erfinder der Impfungen waren keine Ärzte, sondern der besagte medizinische Laie Napoleon Bonaparte. Dahinter steckten handfeste militärische Motive. Er war es, der die Impfpflicht bei der Pockenbekämpfung einführte. Und noch heute wird das damalige Märchen von der Immunisierung von den Behörden weitergetragen. Seit damals propagiert die Impfindustrie den Glauben, die großen Seuchen der Vergangenheit seien durch Impfungen „ausgerottet“ worden. Übrigens, in Wirklichkeit war’s die bessere Hygiene. Wie gesagt, dieser Bonsai-Franzose ordnete an, dass von den Kindern bis zu den Soldaten alles zwangsgeimpft wird. Fast alle Fürsten in Europa folgten seinem Beispiel. Seitdem galt Impfen als Hoheitspflicht. Damit entstand eine der größten Industrien der Neuzeit. Die Massensuggestion, Impfen würde schützen, tat ihr Übriges. Wie viele Menschen kamen seitdem als Folge der Pockenimpfung zu Tode oder wurden zu Krüppeln?


Fragen an das haarige Tagebuch der Schadstoffe
Kommen wir zur nützlichen Frage, ob und in welcher Weise Haaranalysen mit Befunden anderer Biomonitoren (Blut / Urin) korrelieren? Antwort: kaum. Ungeklärt ist auch die Frage, welchen Einfluss Haarfarbe, Geschlecht, Rasse, Lebensstil und Alter auf den Grad der Einlagerung haben; ebenso Ernährung, Haarbehandlung und Wohnort. Ob ein nachgewiesener Stoffe von innen (endogen) oder von außen (exogen) stammt, ist kaum zu entscheiden. Viele Analytik-Dienstleister treffen keine Maßnahme zur Qualitätssicherung. Es gibt keine festgelegten Referenzwerte für den Gehalt an Mineralstoffen und Spurenelementen im Haar. Die Probenentnahme ist daher nicht standardisiert. Die erhaltenen Messwerte ermöglichen allein noch keine sinnvolle medizinische Interpretation. Man muss ja wissen, wie sich die individuellen Messwerte im Vergleich zu anderen darstellen.


Das Haar in der „Analyse“-Suppe
Die bisherigen Studien zeigen, dass lediglich zwei Schadstoffe verwertbare Messergebnisse liefern, nämlich Arsen und auch Methylquecksilber - aus dem Konsum von Seefisch. Für Goldsucher im Amazonasgebiet, die zum Goldaufschluss mit Quecksilberamalgam hantieren, wäre eine Haaranalyse eh überflüssig. Ihre Haare sind innen wie außen so mit eingeatmetem Elementar-Quecksilber gesättigt, dass man von kommunizierenden Hornröhren sprechen kann - besser noch von wandelnden Barometern - fehlt allerdings die Eichung als Millimeter-Quecksilbersäule.

Die Interpretation der erfordert ein gerüttelt Maß an Erfahrung vom Therapeuten. Nur so liefert die Haar-Mineralanalyse dem Erfahrenen Ansatzpunkte und Aussagen zum möglichen Gesundheitsstatus. Haaranalysen eignen sich kaum zur Beurteilung des individuellen Versorgungsstatus mit Spurenelementen und Mineralstoffen. Es lassen sich daraus keine Therapie- oder Diätvorschläge ableiten. Gönnen Sie eher Ihrem Geldbeutel eine gesunde Diät. Lassen Sie die etwa 100 Euro für eine Analyse stecken, die sonst für Apotheken, Praxen oder Haaranalyse-Instituten zu entrichten wären. Ziehen Sie eher ein gesundes Leben vor, und Analysen nicht an den Haaren herbei. Bleiben Sie gesund. Mit Herz und Verstand.