Verordnen Sie sich selbst positive Gedankenbilder; sie wirken wie ein Placebo-Effekt (lat.: „ich werde gefallen“). Sein Gegenspieler ist der Nocebo-Effekt (lat.: „ich werde schaden“). Es ist unglaublich, was Sie allein durch die Kraft Ihrer Vorstellung alles bewirken und bewegen können - nicht nur in Grenzsituationen.

 

von Hans-Jörg Müllenmeister

„Nuggets“ gegen Darminfekt

Als wir von Kathmandu startend zu einer Himalaja-Expedition aufbrachen, ahnte niemand von uns, welche Kette von Ereignissen am Gelingen unserer Tour rütteln sollte. Nur eine Begebenheit möchte ich erwähnen, weil hier die Kraft der bildhaften Vorstellung eine entscheidende Rolle spielte. Gerade richteten wir unser Zeltlager für die Nacht her, als sich Expeditionsleiter Mike sorgenvoll an mich wandte. Einem unserer Bergkameraden, einem jungen Inder, ging es grottenschlecht. Sein Fieber sei inzwischen auf über 40°C gestiegen, berichtete Mike. Offensichtlich hatte der Arme eine ausgewachsene Darminfektion. Außer Aspirin konnten wir ihm leider nichts Geeignetes verabreichen. Die Sache sah bedrohlich aus. Mußten wir unsere Bergtour abbrechen?

 

Am nahen Ufer eines gurgelnden Gletscherbachs hockte ich auf einem glattgeschliffenen Stein und zermarterte mir das Hirn, wie wir dem Inder helfen konnten. Fasziniert beobachtete ich, wie das Wasser flink über das Bachbett hüpfte und, tausendfältig reflektierend, winzige Partikel wie Diamantkristalle im Wasser aufflammten. Als Edelsteinkundler hatte ich diese bereits neugierig in Augenschein genommen. Es waren winzige Glimmerplättchen und feine Pyritkörnchen, die Goldnuggets vortäuschten. Eingebettet lagen sie im grauen Uferschlamm, glitzernd wie funkelnde Sterne. An einigen Stellen hatte sich durch die mahlende Gewalt der Elemente das Flussgeschiebe des Gletschers regelrecht pulverisiert. Lauter Mineralien, angesammelt als Dreck; unzählige Partikel, insgesamt mit einer riesigen Oberfläche, so schoss es mir durch den Kopf. Mit einem Löffel schöpfte ich eine Portion ab.

 

Ich musste den Fiebernden dazu bringen, dass er die Dreckemulsion mit Tee schluckte. Die Idee, dem Magen-Darmtrakt damit eine große Oberfläche anzubieten, damit sich womöglich die kranken Keime darauf zum Abtransport ansiedeln konnten, liess mich nicht los. Und die Mineraliensuppe würde sicherlich den erlittenen Mineralienverlust durch das starke Schwitzen ausgleichen - damals, vor 30 Jahren gab es noch keine großflächig wirkende AMINAS-Vitalkost. Behutsam redete ich dem Fiebernden ständig ein, dass gerade sein Darm nach der glitzernden Brühe verlange. Die funkelnden „Diamanten“ würden die Keime aufspüren und alles Krankmachende zusammentragen. „Du wirst spüren, wie Dich Deine Krankheit langsam verlässt und in den schwarzen Tee schlüpft. Stell es Dir richtig vor, denn so geschieht es auch“. Mit diesen Worten begleitete ich meine rustikale Therapie.

 

Mein erster Gedanke bei Tagesanbruch galt dem fiebernden Inder, der bis spät in die Nacht auf mein Anraten enorm viel Teewasser in sich hinein geschüttet hatte, und das mit verblüffendem Erfolg. Sein Fieber hatte deutlich nachgelassen. Er lachte wieder und lud mich sogar auf eine Safari nach Indien ein. Sein Vater sei dort Leiter einer Elefantensafari. Ob nun der Mineralientrunk oder meine monotone Wortbegleitung in Bildern die schnelle Heilung brachten, weiß ich nicht. Vielleicht trug beides zum guten Gelingen unserer Expedition bei.

 

Gedankenbilder zum Schlaf

Die bildliche Vorstellungskraft ist ein mächtiges Werkzeug unserer Psyche - zum Guten wie zum Bösen. Dieses Instrument zu nutzen und vor allem in Grenzsituationen einzusetzen, erfordert Übung und Selbstvertrauen. Sicherlich haben Sie selbst in dieser Richtung schon Erfahrungen gesammelt, bewusst oder unbewusst. Wie auch immer, Sie sollten behutsam damit umgehen, und Ihre starken Bilder sollten unbedingt konstruktiv sein. Selbst harmlose Alltagsprobleme können Sie mit Ihrer Vorstellungskraft lösen. Angenommen, Sie schlafen schlecht ein, müssen aber zu einer bestimmten Zeit erwachen, dann sagen Sie beruhigend und wiederholt zu sich „Ich schlafe immer tiefer und tiefer... und Punkt acht werde ich wach“. Dabei stellen Sie sich eine große Uhr vor, deren Zeiger genau auf acht Uhr steht. Glauben Sie mir, es klappt; lassen Sie sich von Ihrem eigenen Körper wecken, und nicht vom schrillen Wecker.

 

Ein Stockfisch beim Kugelstoßen

Zugegeben, das folgende Beispiel ist nicht gerade ein positives dafür, wie sich mit übertragenen Gedankenbildern nicht nur der eigene Körper verzaubern lässt. Während eines Leichtathletiktrainings machte ich als Trainer des Ortes, ohne dass ich es wollte, eine merkwürdige Erfahrung. Einer der Jugendlichen tat sich im Training gegenüber den anderen mächtig hervor. Er fühlte sich allen beim Kugelstoßen weit überlegen und kündigte bei jedem neuen seiner Kugelstöße im voraus seine verbesserte Weite an. Diese Großmannssucht störte mich als Trainer gewaltig. So redete ich ihm ein, dass er bei jedem seiner folgenden Versuche technisch immer steifer würde, ja dass er immer weniger wüsste, welche Technik überhaupt die richtige sei.

Als er wieder die Kugel zur Hand nahm, sagte ich unfair halblaut: „Stell Dir das vor, so wie ich es Dir gesagt habe“. Und in der Tat fiel sein Stoß deutlich schlechter aus. Ich steigerte noch, indem ich ihm einredete: „Mit jedem weiteren Stoß wirst Du immer unsicherer, je mehr Du dagegen ankämpfst“. Beide dachten wir eher an einen Zufall. Beim nächsten Mal ergänzte ich: „Paß auf, diesmal bist Du regelrecht stocksteif - steif wie ein Brett“. Jetzt schlug die Kugel beachtlich näher ein. Selbst davon entsetzt, was Worte bewirken können, löste ich den Bann des bösen Spielchens.

 

Negative Gefühle verschlimmern Krankheiten

Da wir gerade die negative Seite der Gedankenbilder tangieren, sei an den Voodoo-Zauber erinnert. Dieser Kult wird heute noch in Ghana, Togo und im Karibikstaat Haiti gepflegt. Echte Schocker sind die berüchtigten legendären Zombies oder die Symbolpuppen des Voodoo. Während viele Priester und Gläubige des Voodoo ihre Fähigkeiten dazu einsetzen, um Kranke zu heilen, nutzen andere ihre düsteren Kräfte für schädlichen Zauber. Es ist erwiesen, dass viele Menschen an der Kraft schlechter Gedanken sterben. Heute kommen die Vermittler von „Verwünschungen“ in einem anderen Gewand: moderne Hexer tragen Weißkittel. Welch mächtige Wirkung negative Gefühle in der Medizin entfalten, konnten US-Psychologen zeigen. So wächst die Wahrscheinlichkeit, an Herzschlag zu sterben, für Frauen um das Dreifache, wenn sie glauben, dass sie besonders anfällig für einen Infarkt seien. Depressivität und negative Gefühle erhöhen bei allen Menschen die Gefahr für einen Infarkt so stark wie Bluthochdruck.

 

Der Noceboeffekt

Wenig erforscht ist der Gegenspieler des Placebo, der Nocebo - wörtlich: ‚ich werde schaden’. Das sind Krankheitsstoffe oder Umstände, die schädlich auf den Organismus einwirken. Man entdeckte, dass dieselben Rezeptoren im Gehirn ansprechen, gleich ob der Patient eine schmerzlindernde Wirkung erwartet oder ob man ihm tatsächlich ein schmerzstillendes Medikament verabreicht. Anders als der Placebo-Effekt ist die Wirkung von Nocebos wenig erforscht. Negative Erwartungen dämpfen das Dopamin-System im Gehirn. Dopamin gilt als Glückshormon; es vermittelt euphorische Gefühle.

 

Bekannt ist der Fall eines Kranken, bei dem man Leberkrebs im Endstadium diagnostizierte. Er, seine Familie und auch seine Ärzte glaubten, dass er nur noch wenige Monate zu leben hätte. Der Kranke hielt sich an die Prognose und starb pünktlich nach einigen Wochen. Die Autopsie aber ergab: Der Tumor war relativ klein geblieben, hatte keine weiteren Organe infiltriert und auch keine Metastasen gebildet. „Der Mann starb nicht an Krebs, sondern daran, dass er glaubte, an Krebs zu sterben“, sagte der Arzt, der solche Fälle genauer untersuchte. Bei jedem Patienten ist das anders, je nachdem welche Bedeutung der Mensch der Therapie oder dem Wort des Arztes beimißt - die kann entsetzlich sein, aber auch Wunder bewirken. Auch unbedachte Äußerungen lösen manche Beschwerden aus. Worte können vernichtend sein.

 

Die Suggestion der positive Gedanken

Erstmals machte der französische Apotheker Emile Coué (1857 bis 1926) eine verblüffende Erfahrung mit der Suggestivwirkung seiner Worte. Übergab er nämlich mit einer positiven Bemerkung den Patienten ihre Medizin - etwa „Mit diesem Medikament werden Sie sicher ganz schnell gesund“ - wirkte die Arznei sehr viel besser, als wenn er schwieg. Damit erkannte er das Prinzip der Suggestion. Auf Coué geht auch eine einfache aber erfolgreiche Übung zurück. Die können Sie sich täglich vor dem Schlafen und nach dem Erwachen etwa zwanzigmal halblaut vorsprechen: „Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!“ Halblaut deswegen, weil damit der Satz über den Gehörsinn im Unterbewußtsein verankert wird. Gute Erfahrung habe ich mit meiner Sprechformel gemacht: „Gesundheit strömt in all meine Zellen!“

 

Coué meinte, es sei gleichgültig, ob man daran glaube oder nicht und was man bewusst dabei denke, solange nur die Lippen den Satz laut genug formten, damit er über die Ohren wieder zurückwirken könne. Er empfahl, den Satz möglichst locker zu sprechen, langsam und monoton in einer Art Mantra, ohne den Willen zu sehr zu bemühen. Bei akuten Schmerzen oder Beschwerden, gleich ob im körperlichen oder seelischen Bereich, gab Coué den Rat, die Hand auf die betroffene Stelle oder auf die Stirn zu legen und möglichst schnell zu wiederholen: „Es geht vorbei ... es geht vorbei ... es geht vorbei ...“ Da das Unterbewußte alle Lebensvorgänge steuert, ließe sich durch bewusste Autosuggestion die Wirkung des Unterbewußtseins in Richtung einer Heilung beeinflussen.

 

Autosuggestion hilft

Auch ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch eine angeborene Autosuggestionskraft besitzt, sie aber nicht immer nutzt. Diese Kraft kann verheerend oder segensreich wirken: Eine bildliche Vorstellung sollte dabei immer positiv und einfach formuliert sein, dann kann sie in unserem Unterbewußten Wurzeln fassen. Starrsinnige Worte des Willens wie „Ich kann nicht ...“ sollten wir aus unserem Wortschatz verbannen. Dadurch schränken wir unsere Möglichkeiten des Handelns nur ein. Ja, es ist möglich, positiv zu denken, auch wenn wir das vielfach im Alltag verlernt haben. Wir sollten unsere Vorstellungskraft pflegen und richtig einsetzen. Ein falsches Anwenden der Autosuggestion im Dunkel des Unterbewussten gereicht uns leider oft zum größten Schaden.

 

Positive Gedankenbilder entfachen Selbstheilungskräfte

Bei der Lösung eines Problems sollten wir uns nicht an die verkehrte Instanz, an die des Willens wenden. Coué sagte dazu: „Nicht der Wille ist der Antrieb unseres Handelns, sondern die Vorstellungskraft. In jedem von uns schlummern Selbstheilungskräfte, die wir gezielt durch Suggestionen zu unserem Nutzen wecken können“. Nein, Gedankenbilder sind keine harmlosen Spießgesellen unseres Geistes; sie sind Kräfte, die unseren Körper veranlassen zu reagieren, und zwar so, als würde tatsächlich das geschehen, was wir uns vorgestellt haben.

 

Entwickeln Sie eine positive Grundeinstellung zu sich, zu den Menschen und zum Leben. Negative Gedanken vergiften Ihren Körper und schwächen ihn. Positive Gedanken stärken die Abwehr Ihres Körpers und aktivieren die Selbstheilungskräfte. Verinnerlichte Bilder wirken tatsächlich bis in die wundersame, großartige Welt der Körperzellen. Positive Gedanken sind wahre Lebensspender! Permanent düstere Gedanken rauben Lebensjahre. Wer von Jugend an den Pessimismus gepachtet hat, riskiert, irgendwann eine schwere Zivilisationskrankheit zu entwickeln.